Im weissen Raum by Sandra Schaller

Im weissen Raum by Sandra Schaller

Autor:Sandra Schaller [Schaller, Sandra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: boox-verlag
veröffentlicht: 2017-03-01T16:00:00+00:00


15

Es war Mitternacht, als ich erwachte. Sobald ich die Fähigkeit zu denken zurück hatte, brach ein Gewitter los. Mein Kopf dröhnte und ich hatte das Gefühl, von der ganzen Situation erdrückt zu werden. Lucien schlief und merkte nicht, dass ich seinen Arm von meiner Brust schob und aus dem Zimmer schlich. Warm eingepackt rannte ich raus in die Kälte, den Fluss rauf bis zum See und zurück Richtung Universität. Ein eisiger Wind schlug mir ins Gesicht und der Nieselregen wurde immer stärker. Wie ein Verrückter hetzte ich durch die Stadt, als wollte ich meine Gedanken hinter mir lassen.

Das waren also die Sünden eines schlechten Menschen. Jemandem wie mir, der diesen Gräuel, wie es selbst in der Bibel stand, zugelassen hatte. Keine Beichte würde mich davon befreien können. Nicht einmal Lorenz’ Theorie konnte mich beruhigen, denn was ich getan hatte, war ein Akt gegen die Gesetze der Natur. Beim Gedanken, was ich alles mit meinem Mund angestellt hatte, zogen sich meine Muskeln krampfartig zusammen und mir wurde ganz schwindlig. An einer Strassenlaterne stützte ich mich ab und erbrach. Ein älterer Herr mit einem Dackel an der Leine, fragte mich, ob alles in Ordnung sei.

»Nein«, weinte ich und schlug gegen den Laternenpfahl. »Gar nichts ist in Ordnung.«

Der Mann runzelte die Stirn, schaute mich einen Moment irritiert an und ging schliesslich wortlos weiter. Verzweifelt blickte ich in den dunklen Himmel und holte tief Luft. Mir war klar, das konnte niemand ausser mir selbst wieder hinbiegen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich von diesen schändlichen Gefühlen und den unnatürlichen Trieben zu befreien und ein besserer Mensch zu werden.

Völlig durchnässt kehrte ich zurück nach Hause und ging auf direktem Weg in Luciens Zimmer. In Trainerhosen und einem Shirt sass er am Fussende des Bettes am Boden und malte mit Kreide in einen Zeichenblock. Vor ihm stand ein Bier und im Aschenbecher lag eine brennende Zigarette.

»Warst du etwa joggen?«, fragte er überrascht.

Am ganzen Körper schlotternd stand ich da. »Ich kann das nicht«, sagte ich aufgewühlt. »Es ist nicht natürlich.«

Er legte den Zeichenblock weg und stand auf. »Du solltest dich aufwärmen.«

»Nein!«, rief ich und wich zurück. »Es war ein Fehler! Wie konnte ich das nur zulassen? Das werde ich mir nie verzeihen!«

»Tu dir das nicht an«, sagte er. »Es hat dir doch gefallen.«

»Wie konntest du mir das antun? Vorher war alles gut!«

Betroffen schaute er mich an. »Du meinst das nicht so«, sagte er traurig. »Beruhig dich erstmal.«

»Ich bin ruhig!«, fuhr ich ihn an. »Und schmutzig! Davon kann ich mich nicht rein waschen!«

»Davon?«, stockte Lucien. »Von mir?«

Es war nicht meine Absicht, ihn zu beleidigen. Wie er sein Leben lebte, war seine Entscheidung und dafür gebührte ihm Respekt. Auf eine Art bewunderte ich ihn dafür. Doch das war kein Leben für mich.

»Du entscheidest dich für etwas, das gar nicht existiert«, sagte er plötzlich und trat näher.

»Wie kannst du das sagen?«, rief ich wütend und stiess ihn von mir. »Was willst du überhaupt von mir?«

Lucien sagte nichts mehr. Insgeheim wünschte ich mir, dass er etwas sagen würde, doch er blieb stumm.



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